Leben und Sterben in Müs


Leben und Sterben in Müs
– Nach den Aufzeichnungen von Josef Erb („Peile“ Jopp) –

In Zeiten, als es noch keine Seniorenheime gab und die meisten Menschen auf dem „flachen Land“
in ihrem Leben nie ein Krankenhaus von innen gesehen hatten, wurden fast alle Leute zu Hause geboren
und starben auch da. So auch in unserem Dorf.
Vor noch nicht allzu langer Zeit kam lediglich einmal die Woche ein Doktor, entweder aus Lüder oder aus Schlirf, und bei Bedarf eine Hebamme – von wegen Notarzt oder gar Hubschrauber. Um die Kranken im Ort kümmerte sich Schwester Cantiana aus dem Kindergarten. Ihre Kollegin, Schwester Alma, musste sich eben solange alleine um die riesige Kinderschar bemühen. Starb jemand, wurde bis 1945 nicht etwa ein Arzt bestellt, sondern „Witzels Jopp“. Nach genauen Vorschriften – u. a. durch einen Stich in die Ferse – hatte dieser den Tod festzustellen. Danach erst konnte er den Totenschein für das Standesamt in Großenlüder ausstellen. Bis zur Beerdigung blieb der Tote im Haus, wo abends der Rosenkranz gebetet wurde.
Der Sarg wurde üblicherweise im Flur oder in der Scheune aufgestellt. Bei Familien mit einer zu kleinen Wohnung kam er ins Spritzenhaus (Ecke Mittelgasse/Brunnenweg). Am Tag der Beerdigung versammelte man sich im Hof des Trauerhauses. Und von dort aus zog man geschlossen zum Friedhof. Als im September 1944 drei junge Müser Schüler bzw. Lehrlinge bei einem Bombenangriff in Fulda umkamen, fuhr „Wäbesch Anton“ zur Identifizierung ins Städtischen Krankenhaus. Die Särge wurden damals in einem LKW des Kalkwerks nach Müs geholt. „Wäbesch Anton“ hatte ansonsten die Funktion des Totengräbers – und zwar über viele Jahre hinweg. Ohne Minibagger bedeutete das schwerste Handarbeit, allenfalls mal „erleichtert“ durch den einen oder anderen Schluck Schnaps. Ihm folgten in seinem Amt, bis es von der Gemeinde Großenlüder übernommen wurde, „Schnägge Erwin“, „de lang Emil“ und „Dille Moadin“.
Ab 1964 hatte Müs einen neuen Friedhof und eine Leichenhalle. Damit änderte sich natürlich einiges. So brachten jetzt die Schreiner „Meiesch“ Paul oder „Schnägge“ Winfried den Sarg ins Haus des Verstorbenen, die Nachbarn holten am Friedhof den Sargwagen und der Tote wurde, inzwischen eingesargt, begleitet von Familie und Nachbarschaft, unter dem Geläut der Totenglocke zur Leichenhalle gebracht. Starb jemand im Krankenhaus in Fulda, beauftragten die Schreiner einen dortigen Bestatter, den Sarg nach Müs zu überführen. Dabei wurde eine Zeit ausgemacht, wann die Überführung etwa in Müs ankommen sollte. Zwei Messdiener bekamen daraufhin den Auftrag, rechtzeitig in den Kirchturm zu steigen und durch die Klappe in der Turmuhr Ausschau zu halten. Sobald der Leichenwagen oben am Ortseingang/Strickweg erschien, fingen sie an zu läuten. Der Verstorbene wurde sodann von dort aus unter Geläut langsam durchs Dorf zum Friedhof gefahren, wo er von seinen Angehörigen empfangen wurde.
Aber auch der neue Friedhof war vor Überraschungen nicht gefeit. So hatten wir im Februar 1970 Hochwasser und auf dem Weg zum Friedhof „Land unter“. Nach einem Sterbefall kam deshalb schweres Gerät zum Einsatz. Zur Überführung musste der Sarg auf einen LKW geladen werden. Drei Tage später hatte sich das Wasser jedoch wieder zurückgezogen und die Beerdigung konnte mit Trauergästen stattfinden. Zu allen Zeiten gab es auch in unserem Ort Menschen, denen ein langes Leben geschenkt wurde. Auf sie mag das folgende Sprichwort zutreffen: „Fröhlich gelebt und selig gestorben – das nenn ich dem Teufel die Rechnung verdorben.“ Und nicht nur in solchen Fällen kam es durchaus mal vor, dass der Tröster feuchtfröhlich endete und somit sowohl der Verstorbene als auch die Trauerfeier lange in Erinnerung blieben.

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