Die Ankunft – oder „Die Püppi heirat ich.“ Petra Schmidt-Ertelt


Die Ankunft – oder „Die Püppi heirat ich.“
Petra Schmidt-Ertelt: Eine Liebeserklärung an das Dorf und seine Menschen (1)

Da standen wir, meine Mutter und ich, Ende April 1946, aus der russischen Besatzungszone, genauer aus der Ruinenstadt Dresden kommend, vorerst nur mit einer dreiwöchigen Besuchserlaubnis der amerikanischen Besatzungszone in einem Dorf namens Großenlüder. Wie war es dazu gekommen?
1944 in Dresden geboren, war ich mit meiner Mutter ausgebombt und dabei verschüttet worden. Meinen Vater, 1946 aus amerikanischer Gefangenschaft mit der Auflage entlassen, nicht in die russische Besatzungszone zurückzugehen, hatte es mit einer amerikanischen Einheit nach Großenlüder verschlagen, wo er eine Anstellung als ziviler Schreiber bekam. Für uns hatte er deshalb bei Familie Becker („Wächtesch Willem“) ein Zimmer gemietet, das er mit viel Mühe mit Holzofen, Bett und Stuhl eingerichtet hatte. Aber nach drei Wochen mussten wir wieder zurück nach Dresden. Deshalb kämpfte mein Vater in den darauffolgenden Wochen um unsere Zuzugsgenehmigung. Das war ein fast hoffnungsloses Unterfangen, denn das vom Krieg gezeichnete Dorf wurde von Heimatvertriebenen geradezu überschwemmt. Nach langem Hin und Her und mit Hilfe eines ärztlichen Attests, meine Mutter war schwanger, bekamen wir im Spätsommer 1946 von Bürgermeister Maubach und der amerikanischen Behörde schließlich die Erlaubnis, endgültig wiederzukommen. Also zogen wir – mit all unseren Habseligkeiten in einem Holzkoffer – erneut bei Familie Becker ein. Jetzt war mit einem Male alles besser als in der hungernden Stadt Dresden, wo die Bevölkerung und die russischen Besatzer um jedes Lebensmittel kämpften. Mutter durfte in der Küche der Familie kochen und immer wieder fand sie in ihrem Topf ein Stück Fleisch, eine Wurst oder ein Stück Speck. Unbekannte Genüsse und ganz neue Gerüche. Herrlich! Ich sehe alles noch vor mir: den großen Misthaufen vor dem Haus, die Gülle, die über den Hof floss, und Oskar (Bickert), meinen späteren Klassenkameraden, den „König vom Nil“. Galant reichte er mir die Hand, geleitete mich über die Gülle-Rinnsale bis zur Brücke an der Straße und andächtig schauten wir auf die „tosenden Fluten des Nils“ („de Booch“). Ein fast tägliches Ritual. Zuhause erzählte Oskar: „Die Püppi heirat ich.“

Großenlüder in Vergangenheit und Gegenwart
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