Die „Hölle“ (1): Ein (fast) normaler Samstagnachmittag


Die „Hölle“ (1): Ein (fast) normaler Samstagnachmittag
– Nach den Aufzeichnungen von Gerhard Dietrich –

Vor Einführung der Fußballbundesliga, also bis 1963, wurde in Westdeutschland die Fußballmeisterschaft in einer Endrunde zwischen den Meisternbzw. den qualifizierten Vizemeistern der fünf Oberligen ausgespielt. Diese Spiele waren immer samstagnachmittags angesetzt und wurden auch damals schon im Fernsehen übertragen. Weil nur die Wenigsten zuhause einen Fernseher hatten, waren die Gastwirtschaften im Allgemeinen voll. „Scholbaeckesch“
(alias „die Hölle“) im Besonderen war meist brechend voll. Viele kamen direkt von der Arbeit bzw. der „Schwarzarbeit“, waren abgeschafft und zum Teil schon alkoholisiert. In jedem Fall versuchte man früh genug da zu sein, um einen guten Platz zu bekommen und sich noch ordentlich „einstimmen“ zu können. Ging das Fußballspiel los, war die Atmosphäre schon explosiv.
Die Vorhänge wurden zugezogen, im Gastraum war es halbdunkel, die Luft war zum Schneiden und voller Zigarettenqualm. Viele waren parteiisch, standen klar hinter ihrer Lieblingsmannschaft und es kam des Öfteren zu teils heftigen Wortwechseln. Man schnauzte sich gegenseitig an, fluchte über die Spieler, vergebene Torchancen oder die Schiedsrichterentscheidungen. Manche Gäste sprangen während des Spiels bei spannenden Szenen auf und andere motzten, dass sie deshalb nichts sehen oder kaum etwas hören konnten. Wenn in einer solchen Situation der Fernseher streikte – und das passierte damals regelmäßig – war das der Super-GAU.
Die einzige Rettung war dann Anton Michel, der Elektromeister von nebenan. Er wurde schnellstens herbeigeholt und nicht etwa freudig begrüßt, sondern im Gegenteil von Anfang an angepöbelt, weil er vermeintlich zu lange gebraucht hatte, und überhaupt, weil der Fernseher wieder mal nicht lief. Natürlich wurde er weiter beschimpft, während er, zunehmend nervöser werdend, in dem Tohuwabohu die Verstärkerröhren kontrollierte und sie abklopfte, um festzustellen welche defekt war. Dabei konnten auch schon mal die Funken „spritzen“ oder es konnte gar einen Kurzschluss geben. Für die Meute ein Anlass, um noch mehr rumzukeifen. „Där konn doch nischt.“, „Du host doch beim Schriener gelennt.“ Und Ähnliches musste er sich anhören. Meist blieb Herrn Michel nichts Anderes übrig, als zu Hause schnell ein Ersatzgerät zu holen, damit das Spektakel in Scholbaeckesch weitergehen konnte. Nach dem Spiel begannen dort die Diskussionen über den Spielverlauf und man richtete sich allmählich auf einen langen Abend in der „Hölle“ ein, während in nicht wenigen Familien der Ehemann und Vater sehnsüchtig vermisst wurde… Der Elektromeister konnte unterdessen den defekten Fernseher in aller Ruhe in seiner Werkstatt reparieren. Jetzt ging ihm alles schnell und gut von der Hand und er fühlte sich wieder als Herr der Lage – und im wahrsten Sinne „der Hölle entronnen“.

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