Dorfgedächtnis, „Zirkus im Keller“ – Kindheitserinnerungen von Werner Bickert –


„Zirkus im Keller“ oder
„Als Werners Vater erschossen werden sollte…“
– Kindheitserinnerungen von Werner Bickert –

Am Gründonnerstag des Jahres 1945 war es so weit. Die Amerikaner rückten ein mit vielen Panzern, Jeeps, Geschützen und diversen anderen Militärfahrzeugen. Alle hatten Angst, aber für die Kinder war das Geschehen rund um die fremdartigen Soldaten im Gegensatz zu den Erwachsenen auch gleichzeitig spannend und mit viel Faszination verbunden. Werner erinnert sich, dass die Soldaten komplett anders waren als die, die sie bis dahin gewohnt waren. „Es woarn au ville schwoarze dreng. Dos def mer jo net me soar, äwer es woar halte so.“
Werners Familie wohnte damals zur Miete im Haus der Familie Schmitt, Bergstraße 7 (früher ‚Am Hügel‘).
Mit Pistolen und Gewehren im Anschlag wurde seiner Mutter klargemacht, dass das Haus beschlagnahmt werden
sollte und sie innerhalb von zwei Stunden die Wohnung zu verlassen hatten. Nur in dringenden Fällen und zur Versorgung ihrer Hasen war es ihnen erlaubt, das Grundstück zu betreten. Mit den Hühnern hatten die Militärs kurzen Prozess gemacht. Sie hatten sie aus dem Stall getrieben und der Reihe nach abgeschossen. „Dann sen de im Hof dorem gespronge be de Indianer.“ Dabei hielten sie die toten Hühner in den Händen und freuten sie so sich über das frische Fleisch und die Eier.
Als die Familie endlich wieder in ihre Wohnung zurückkommen durfte, musste sie feststellen, dass die ‚Amis‘ schlimm gehaust hatten. Andere hatten da mehr Glück gehabt, aber bei ihnen waren überall Zigaretten ausgedrückt worden, alles war verdreckt, vieles war zu Bruch gegangen, die Schlüssel fehlten durchweg und die meisten Griffe waren abgerissen. Vielleicht hatten sie einfach Pech gehabt oder es hing alles mit dem „Zirkus“ zusammen, der im Keller passiert war.

Zur Wohnung gehörte nämlich auch ein Kellerraum, in dem die Familie Lebensmittel, Wertsachen und (Bett-) Wäsche versteckt hatte. Jedenfalls wollte Werners Vater dort eines Tages etwas holen und überraschte dabei einen Amerikaner, der in der Wäsche saß und dort gerade seine Notdurft verrichtete. Das war zu viel für ihn. „Min Vodder hot em ei gegah. Un es woar en stoarke Mann…“ Was das für einen Tumult zur Folge hatte, kann man sich unschwer vorstellen. Herr Bickert wurde festgenommen und sie hatten alle fürchterliche Angst, dass man ihn an die Wand stellen würde. Gott sei Dank schritt ein Offizier ein. Mit Hilfe eines Dolmetschers wurde die Situation geklärt, Werners Vater wurde verschont und nur mit einem Hausverbot für die Zeit der Beschlagnahmung bestraft.

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Repro: Hubert Brähler