Dorfgedächtnis – Wie alt ist Großenlüder wirklich?

Wie alt ist Großenlüder wirklich?
von Andreas Ruhl

In diesem Jahr feiern wir 1200 Jahre Großenlüder. Da lohnt ein Blick zurück ins Jahr 822, in dem die Geschichte unseres Ortes – zumindest offiziell – mit der Weihe der ersten Kirche ihren Anfang nahm. (Fast unnötig zu erwähnen, dass die Kirche damals wohl nicht auf der grünen Wiese, sondern in einer schon bestehenden und bedeutenden Siedlung errichtet wurde.) Und es lohnt sich, auch die Überlieferungen und die Forschung dazu genauer zu beleuchten.
Als älteste – und einzige handschriftliche – Überlieferung gilt der so genannte Codex Eberhardi. Dieser entstand im 12. Jahrhundert, als der Fuldaer Abt Marquard den Mönch Eberhard mit der Abschrift der im Kloster vorhandenen Besitzurkunden beauftragte. Marquard hatte die Abtei in einem wirtschaftlich schlechten Zustand übernommen und wollte so Fuldaer Besitzansprüche stützen – mitunter auch mithilfe von Verfälschungen oder Fälschungen.
Laut Codex Eberhardi wurde die Kirche in Großenlüder vom Mainzer Erzbischof Heistulf auf Veranlassung des Fuldaer Abts Eigil geweiht – und zwar im Jahre 850! Doch diese Jahreszahl kann nicht stimmen, waren sowohl Heistulf (0825) als auch Eigil (t822) 850 schon lange tot.
Die nächste Überlieferung des Historikers Christoph Brauwer bringt uns dem Jahr 822 ein Stück näher. In seinem Werk Fuldensium antiquitatum libri IIII von 1612 schreibt er, dass die Kirche in Großenlüder von Heistulf 820 geweiht wurde, nachdem Heistulf im November 819 noch die Fuldaer Ratgar-Basilika geweiht hatte. Diese Jahreszahl scheint insofern plausibel, als dass Heistulf durchaus die Rückreise von Fulda nach Mainz für einen Zwischenstopp in Großenlüder genutzt haben könnte.
Rund 100 Jahre nach Brouwer brachte dann der Geschichtsschreiber Johann Friedrich Schannat das Jahr 822 ins Spiel. Laut den Angaben in seinem Werk Historia Fuldensis (1729) nahm Heistulf die Weihe unserer Kirche nach der Weihe der Fuldaer Michaelskirche vor. Da auch diese Angabe plausibel ist und Schannat zudem einen sehr guten Ruf genoss, setzte sich diese Jahreszahl wohl durch. So ist in Texten aus dem 19. Jahrhundert über Großenlüder vorrangig auch das Jahr 822 zu finden. Die Forschung ist sich mittlerweile ziemlich sicher, dass Schannat über keine anderen Quellen als den Codex Eberhardi verfügte. Doch auch wenn sein Ruf mittlerweile stark gelitten hat, so hat Schannats Jahreszahl 822 bis heute überdauert.
Anhand dieser Erkenntnisse muss man festhalten: Unsere Kirche wurde wohl irgendwann zwischen 819 und 822 geweiht. Folglich feiern wir unser Jubiläum ungefähr im richtigen Jahr – und sollten uns von Jahreszahlen sowieso nicht vom Feiern abhalten lassen!

Von Andreas Ruhl