Dorfgedächtnis, Die „haarige“ Wand


Die „haarige“ Wand
– Nach den Erinnerungen von Erich Dietrich –

Es muss noch vor dem Ersten Weltkrieg gewesen sein, zumindest zu Zeiten, als noch Ochsengespanne
und Pferdefuhrwerke die Straßen dominierten. Da lebte in „Luis-Wiertz“ (Bäckerecke) ein alter Bauer mit seiner Frau. Im Dorf mutmaßte man, dass beide dem Alkohol ziemlich zugetan seien. Jedenfalls gab es in den Dorfkneipen einiges über sie zu erzählen. An eine dieser Geschichten soll heute erinnert werden:
Der alte Herr von „Luis-Wiertz“ hatte sich kurz nach dem Mittagessen zu Fuß auf den Weg nach Bimbach gemacht, um dort, wie man sich erzählte, einem Bauern zwei Ferkelchen zu verkaufen. Nachdem das Geschäft abgeschlossen war, begab er sich – mit dem Hochgefühl eines erfolgreichen Geschäftsmannes – in eine Kneipe, um den Verkauf mit einem Bierchen zu krönen. Wie so oft blieb es nicht dabei. Erst mit der Sperrstunde kam er wieder an die frische Luft, um nunmehr ‚sternhagelvoll‘ den Heimweg anzutreten. Unterwegs hatte er indes ein Erlebnis, was ihn noch eine Zeitlang beschäftigen sollte und von dem er immer wieder erzählt hat. In der Dunkelheit der Nacht traf er nämlich irgendwann auf ein Hindernis, d. h. er prallte mit einem Male gegen eine, wie er sich ausdrückte, „haarige“ Wand, die sich noch dazu bewegen konnte. Zu Tode erschrocken, nach eigenen Angaben natürlich „todesmutig“, schlug er mit seinem Gehstock erbarmungslos auf die Wand ein. Dabei will er laut gerufen haben: „Bist du von Gott, gehst du zu Gott. Bist du vom Teufel, gehst du zum Teufel.“ Und siehe da, die Wand gab den Weg frei. Als er am nächsten Morgen seiner Frau von der mysteriösen Begegnung erzählen wollte, fand er kein Gehör. Verärgert darüber, dass er den Erlös versoffen hatte, rief sie: „Bos soll dos Geschwätz? Du bist un blisst en Suffkopp.“ Das Erlebnis ließ ihm jedoch keine Ruhe. Er musste der Sache auf den Grund gehen. Also lief er ein Stück des Weges zurück. Schon von Weitem stellte er fest, dass eine Sippe Zigeuner (heute: „Sinti und Roma“) unterhalb der Grotte ihr Lager aufgeschlagen hatte. Und dann sah er sie auch schon, seine „haarige“ Wand. Große Zugpferde, die die Wagen der Sippe zu ziehen hatten, waren nahe des Weges angepflockt. Gegen einen von diesen Gäulen musste er in der Nacht gelaufen sein. Also war er doch nicht verrückt geworden…

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Repro: Hubert Brähler