Weihnachten vor 70 Jahren!
Was hatten wir denn schon ……?
Aus den Erinnerungen von EwaldWehner, Großenlüder
Meistens lautet die Antwort: „Nischt hatte mir, goarnischt!“ Aber stimmt das auch? Für die Generation, die noch den Krieg mitmachten musste, und für die ersten vier Jahrgänge danach gilt das sicherlich. – Nun, ich bin 1949 in Petersberg geboren und kann nur darstellen, wie ich die Advents- und Weihnachtszeit in den 50er Jahren erlebt und empfunden habe. Für mich war es eine glückliche und ‚reiche‘ Zeit. Dies war in Großenlüder bestimmt nicht anders.
Zunächst hatten die meisten Kinder ihre Familien. Und diese waren intakt. Sie funktionierten, weil ihnen gar nichts anderes übrigblieb. Nur der Zusammenhalt versprach eine halbwegs verlässliche Zukunft. Für den Alltag bedeutete das: Der Vater ging arbeiten und die Mutter war für Familie und Kinder da. Aber das Wichtigste dabei war, beide sahen darin ihre Bestimmung. Und da Weihnachten ja ein Fest der Familie ist, war das schon einmal ein Fundament an Geborgenheit, auf das man bauen konnte.
Abends gab es schon in der Vorweihnachtszeit ein „Adventsstündchen“ im Kreis der Familie. Der Adventskranz war immer geschmückt mit roten Kerzen und Schleifen. Es wurde aus der Bibel vorgelesen und gesungen, so gut man es konnte. Besinnlich eben. Ja, der christliche Glaube beider Konfessionen war für uns damals ein weiteres Fundament, obwohl er uns anders und strenger vermittelt wurde. – Was hatten wir noch? Selbstgebackene
Plätzchen und Stollen natürlich. Sie waren der Stolz jeder Hausfrau. Aufbewahrt in großen Blechdosen, im kalten Schlafzimmer der Eltern. Heizen im Schlaf- oder Kinderzimmer? Wenn jemand krank war, sonst nicht. Das Leben fand damals in den Wintermonaten in der beheizten Küche statt. Die Fenster waren voller Eisblumen. Das war aber alles nicht so schlimm, denn wir hatten dicke, schwere Federbetten und Wärmflaschen oder heiße Ziegelsteine gegen den Frost.
Von den Plätzchen gab es vor Weihnachten nicht viel zu naschen. Nur der Nikolaus brachte eine gute Portion nebst Orangen, Nüssen und gegebenenfalls einem Schokoladen-Nikolaus. Spielzeug vom Nikolaus? Undenkbar.
Was gab es noch zur Weihnachtszeit? Schnee und Frost. Und mit Schnee war die Adventszeit perfekt. Adventliche Festtage der besonderen Art waren für uns Kinder die gemeinsamen Weihnachtseinkäufe in der Stadt. Viele nutzten die ersten verkaufsoffenen Sonntage als Chance zu einem Einkaufsbummel. Bei einer Sechs-Tage- Woche blieb dafür ansonsten kaum Zeit. Die Besuche bei „Kerbersch Koarl“ habe ich bis heute in bester Erinnerung. Alle Schaufenster waren liebevoll geschmückt. Die acht Weihnachtsbäume auf der Stadtpfarrkirche sowie die großen Adventskränze, besonders aber die Auslagen in den Spielzeuggeschäften bei van Haag, Jost und Hammer waren ein einziger Kindertraum.
Zu Hause wurden Wunschzettel geschrieben und gemalt. Das kostete zwar Mühe und Zeit, aber machte große Freude. Meist gab es nur einen großen Wunsch. Man wusste, ,,mehr war nicht drin“ und freute sich umso mehr, wenn es noch zusätzlich ein paar kleine Geschenke gab. Die Eltern mussten sich mit Selbstgebasteltem zufriedengeben – z.B. Sterne aus Stroh und Goldpapier oder Laubsägearbeiten.
Vom 23. Dezember bis zur Bescherung am Heiligen Abend war das Wohnzimmer üblicherweise verschlossen. Das
,,Christkind“ schmückte schließlich den Weihnachtsbaum! Doch am Heiligen Abend durften wir schon mal durchs
Schlüsselloch ,,linsen“. Kurz vor der Bescherung gab es Bauernwurst mit Kartoffelsalat. Danach musste ich mit
Mutter in der Küche auf das Christkind warten. Endlich ertönte ein helles Glöckchen und wir durften in das Weihnachtszimmer eintreten. Nachdem zunächst der Christbaum bestaunt worden war, setzten wir uns um den Gabentisch. Jetzt wurde die Weihnachtsgeschichte vorgelesen und zum Schluss wurden die bekanntesten Weihnachtslieder gesungen. Unter mindestens zehn Liedern kam ich nie davon!
Danach kam die Bescherung. Am lebendigsten in Erinnerung sind mir über die Jahre hinweg noch ein dunkelblauer
Tretroller mit roten Felgen, Schlittschuhe und eine aufziehbare Eisenbahn. Mutter bekam ,,Praktisches“ wie z.B.
einen Staubsauger oder ähnliche Haushaltsgeräte. Vater wünschte sich im Normalfall Rasierklingen und einen
Blutstiller. Später gab es wie fast überall Hemd – Socken – Krawatte. Zu später Stunde ging es dann zur Christmette.
Der erste Feiertag wurde geruhsam im Kreise der Familie verbracht. Als Festtagsessen gab es Stallhase und zum
Kaffee Stollen und Plätzchen satt. Am zweiten Feiertag kamen nach Kirche und Mittagessen „Petter und Döt“ und
brachten den „Bündel“. Von wegen ,,Mir hatte nischt.“ Kein Fernseher, kein Weihnachtsmarkt, keine Party (fast
wie in Corona-Zeiten), aber dafür viel Familie und Geborgenheit. Wir hatten so viel vor 60 bis 70 Jahren – nämlich
Frohe Weihnachten
Großenlüder in Vergangenheit und Gegenwart
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