Dorfgedächtnis, Als die Amis kamen…

Als die Amis kamen…
Mit der Decke im Schweinestall brach das Eis
– Kindheitserinnerungen von Karl Wahl –

Kaum waren die letzten deutschen Soldaten am Hof der Familie Wahl in Unterbimbach, unterhalb der Marienkapelle, vorbeigezogen und Richtung Fulda verschwunden, näherten sich auch schon die Amerikaner. Am Gründonnerstag des Jahres 1945 besetzten sie schließlich nicht nur das Dorf, sondern bezogen zwischen Unterbimbach und Marberzell Stellung, um von dort aus Fulda, was sich bis dahin noch nicht ergeben hatte, zu beschießen.
Plötzlich erschien ein amerikanischer Oberst mit einem großen Trupp Soldaten im Hof und beschlagnahmte das Haus. Zugleich sollte in der Scheune die Feldküche eingerichtet werden, von der aus die Truppen im Feld versorgt werden mussten. Selbstverständlich wurden der Bäuerin und ihrem Knecht das Recht eingeräumt, das Vieh zu versorgen. Während also ein Teil der Soldaten schon mit dem Aufbau der Feldküche begann, besichtigten der Oberst, ein Dolmetscher und Frau Wahl zunächst einmal das Haus. Andere Soldaten bekamen den Auftrag die Nebengebäude zu durchsuchen. Der Rest hielt die übrigen Familienmitglieder und den Knecht in Schach. Als zwei GIs im Begriff waren, sich der Treppe zum Boden des Schweinestalls zu nähern, rief der Knecht plötzlich ganz aufgeregt: „Net do nuff, net do nuff, de Däck hält net!“ Er wusste nämlich, dass die Decke über dem Schweinestall durchgebrochen und nur mit ein paar Brettern provisorisch abgedeckt worden war. Danach hatte man einfach Strohballen darübergelegt. Das wussten aber die Amerikaner nicht. Auch hatten sie den Knecht nicht verstehen können. Vielmehr dachten sie, er wollte jemanden warnen, der sich dort im Stroh versteckt hatte. So kam es, wie es kommen musste: Die Soldaten gingen in Anschlag, der Knecht wurde mit Gewehren an die Hauswand gedrängt und die zwei auf der Treppe beeilten sich, nach oben zu kommen. Es tat einen Schlag, mehrere Schüsse fielen und allgemeine Hektik brach aus. Als sich Staub und Lärm wieder gelegt hatten, hörte man einzig den eingebrochenen Soldaten wie wild von innen gegen die Tür des Schweinestalles pochen. In der Zwischenzeit hatte der Oberst mit Hilfe des Dolmetschers vom Knecht in Erfahrung bringen können, warum er so laut gerufen hatte. Jedenfalls wurde dem Knecht sofort große Achtung erwiesen – und ihm wurden Zigaretten, Schokolade und andere Süßigkeiten angeboten. Der durchgebrochene Soldat wurde natürlich „gerettet“. Er war körperlich unversehrt geblieben, wurde aber, weil er so schlimm stank, zum Mittelpunkt allgemeiner Heiterkeit. Unter großem Geschrei wurde er schließlich im Kuhstall ins Wasserbassin gesteckt und erst einmal ordentlich abgewaschen. Von da an war die Atmosphäre gelöst. Der Knecht war und blieb der große Held, aber auch die Kinder wurden mit Süßigkeiten überhäuft und die Bäuerin bekam Kartons voll mit Kaffee, Schokolade und Corned Beef.
Selbst die Nachbarschaft profitierte, denn die Amerikaner hatten die Angewohnheit, das gebrauchte Kaffeepulver – und es waren unglaubliche Massen – an der Hauswand zur Straße hin aufzuschütten. Die Nachbarn und Leute aus dem Dorf bedienten sich dort im Schutz der Dunkelheit, denn ein zweiter Aufguss war immer noch besser als der Muckefuck, den man sonst trinken musste.

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Repro: Hubert Brähler